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Ivan Turgenev "Otcy i deti". Bazarow als Hauptfigur des Romans (стр. 1 из 6)

Technische Universität München

WS 2008

Institut für Slavistik

Lehrstuhl für russische Literaturwissenschaft

Ivan Turgenev „Otcy i deti“.Bazarow als Hauptfigur des Romans

Seminar „Ivan Turgenev “Otcy i deti“

Seminarleiter: Prof. Dr. Henncke

Helen Matuwiecenen M. A. – Slavistik

Tittmannstraße 31 6. Semester

01309 Dresden

Tel: (0351) 1151711 Abgabedatum: 26. 03. 2008

masepa@yahoo.de

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Das Thema Nihilismus im Roman

Turgenevs Nihilismus-Begriff

Büchners „Kraft und Stoff“ und seine Auswirkungen

Turgenevs Korrekturen im Roman

Das Bild der neuen Generation

Bazarow als „Held unserer Zeit“

„Говорящая фамилия“

Bazarows Gestalt

Bazarows Nihilismus

Über Bazarows Materialismus

Bazarow und Volk

Bazarow und Naturwissenschaft

Bazarows Ansichten auf die Kunst

Evolution im Bazarows Charakter

„Мысль о человеческом ничтожестве“ imRoman

Bazarows Ende

Schlusswort

Literaturverzeichnis


Einleitung

„Ну, и досталось же ему за Базарова,

беспокойного и тоскующего Базарова

(признак великого сердца), не смотря на

весь его нигилизм!”[1]

„Отцы и дети“ („Väter und Söhne“) ist ein klassisches Beispiel des russischen sozial-psychologischen Romans. Diese Arbeit beschäftigt sich mit den ideologischen Problemen des 19. Jahrhunderts, die Turgenev in seinem Roman angesprochen hat. In Mittelpunkt stehen die Fragen des russischen Nihilismus und allgemeinen gesellschaftlichen Konflikt der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts. In dieser Arbeit wird der Hauptcharakter Bazarow, seine Stellung im Roman und auch seine Wirkung auf die andere Charaktere erläutert.

In einer hohen künstlerischen Form stellte in seinem Werk Ivan Turgenev die führenden Ideen der neuen Generation und den allgemeinen gesellschaftlichen Konflikt der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts dar. Die Zeitschriften „Русскаялитература“, „Вопросылитературы“ und „Подъём“ schrieben über die epochale Bedeutung des Romans für russische Gesellschaft und äußerten die Meinung, dass Bazarow – der Hauptcharakter dieses Romans – keine Illustration zur einen bestimmten politischen These sei, sondern ein vollständiger künstlerisch dargestellte Charakter.[2]

Das Thema Nihilismus im Roman

Der Autor arbeitete an dem Roman in der Zeit der revolutionären Situation in Russland in den Jahren 1859-1861, was einen bestimmten Abdruck auf die ganze Romankonzeption legte. Die Zeitgenossen von Turgenev waren der Meinung, dass das Hauptproblem von diesem Roman das Problem von Nihilismus sei. Ihre Kritik betraf die Darstellung und die Deutung dieses Problems, die von Turgenev im Roman gegeben wurde. In der Tat, nach dem Werk von N. I. Nadeždin „Сонмище нигилистов“, wo dieser das Problem des russischen Nihilismus aus seiner Sicht darstellte, bekam Nihilismus als charakteristischen Zug der russischen Gesellschaft zum ersten Mal eine besondere Betrachtung in einer künstlerischen Erfassung. Nadeždins Werk im Genre eines philosophischen Feuilletons, mit seiner charakteristischen grotesken und ironischen Note, ist der Betrachtung von zwei führenden Problemen der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts gewidmet – Romantik und Nihilismus. In seinem Werk machte Nadeždin die nihilistische Theorie zunichte und stellte sie als absurd und außerhalb aller ethischen und ästhetischen Normen dar.[3] Fast 30 Jahre trennen Nadeždins Artikel, der im Jahr 1829 geschrieben und veröffentlich wurde, und „Väter und Söhne“. Diese Tatsache weist auf die Untersuchung des Problems Nihilismus in der russischen Gesellschaft in unterschiedlichen historischen Epochen hin. In „Väter und Söhne“ ging Turgenev zum Problem von Nihilismus von der anderen – philosophischen Seite aus. Er betrachtete Nihilismus als eine soziale Erscheinung seiner Zeit in all ihrer Aktualität und Schärfe, was der herrschenden gesellschaftlichen Situation in Russland in den 50-60er Jahren des 19. Jahrhunderts völlig entsprach.

Turgenevs Nihilismus-Begriff

Mehrere Forscher von Turgenevs Werk stellten fest, dass er den Begriff Nihilismus in der russischen Literatur geprägt und verbreitet hat. In der Tat, selbst Turgenev in seinem 1868-69 verfasstem Essay „Поповоду „Отцовидетей“ beanspruchte die Wortschöpfung für sich: „Das von mir in Umlauf gebrachte Wort „Nihilist“ wurde damals von vielen angegriffen, die nur auf eine Gelegenheit, einen Vorwand gewartet hatten, die Bewegung aufzuhalten, von der die russische Gesellschaft erfasst war“[4]. In diesem Essay redete Turgenev von der Bewegung der neuen Generation Nihilisten in Russland. Das Programm der „Nihilisten“, im Namen der „reinen und positiven Vernunft“ eine gerechte Gesellschaftsordnung zu errichten, wurde bereits in den sozial-politischen und literarisch-ästhetischen Kreisen der 40er Jahre vorgeformt. Aleksandr Herzens und Vissarion Belinskij Schriften haben mehrere Diskussionen hervorgerufen. Als die wichtigen Theoretiker des Nihilismus knüpften Nikolaj Černyševski im „Современник“ und Dmitrij Pisarev im „Русскоеслово“ an die Ideenwelt der 40er Jahre an, meistens in Opposition zur älteren Generation, die durch die idealistische Philosophie geprägt war. In den Werken von Žukovskij, Belinskij und Katkov wurde der Nihilismus-Begriff auch mehrmals verwendet.

Es ist wichtig zu ergänzen, dass Turgenevs Nihilismus-Begriff seine Grundlage nicht nur aus der russischen, sondern auch aus der deutschen Überlieferung von diesem Begriff bekam. Eine große Rolle hat eine Rezension in „Современник“ von Nikolaj Dobroljubov gespielt. In diesem Artikel propagierte er die nihilistischen Theorien von den deutschen Autoren wie Büchner, Vogt und Moleschott, die damals einen großen Klang auch in Russland hatten. Das Werk von Ludwig Büchner „Kraft und Stoff“ (1855 in Frankfurt am Main herausgegeben worden) hatte eine Menge von Diskussionen in Deutschland sowie in Russland hervorgerufen. In „Väter und Söhne“ wurde dieses Werk von der Hauptfigur – Bazarow, einen Vertreter der nihilistischen Theorien – stark propagiert.

Büchners „Kraft und Stoff“ und seine Auswirkungen

Büchners Werk war populärwissenschaftlich geschrieben worden und galt als „Bibel des Materialismus“. Aus einer radikalmaterialistischen Sicht griff Büchner die spekulative Philosophie an und sah den gesamten Lebensbereich nur von empirischen „Fakten“ und „mechanischen Gesetzen“ existierend. Seiner Meinung nach sollte das Sein nur durch „Beobachtung“ und „positives Wissen“ begriffen werden, der Glaube an übersinnliche Phänomene „vollkommener Unsinn“ ist und die wahre Erkenntnis nur aus der Chemie oder aus der Physik gewonnen werden kann.[5] Die Theorie stellte den Glauben an die Erkennbarkeit, Gesetzmäßigkeit und Berechenbarkeit aller Lebewesen in den Mittelpunkt und propagierte eine radikale Abkehr von der Metaphysik und die Negierung der ethischen und der emotionalen Dimension des Menschen.

„Kraft und Stoff“ rief in Russland gegensätzliche Reaktionen hervor. Eine Umorientierung zu Positivismus und Naturwissenschaft als auch eine starke Propaganda des Vulgärmaterialismus unter Studenten brachte Büchners Anhänger zu mehreren Auseinandersetzungen mit den Konservativen. Der Konflikt verlief grundsätzlich zwischen Väter- und Söhne-Generationen. Die neue Generation vertrat die materialistischen Theorien, womit alle Werte und Autoritäten, die für „Väter“ von Bedeutung waren, radikal negiert wurden. Dieser aktuelle Konflikt wurde in „Väter und Söhne“ in einer literarischen Form dargestellt. Zum ersten Mal in der russischen Literatur wurde das Problem der Väter- und Söhne-Generationen im Kontext eines starken philosophischen Ideenkampfes angesprochen, welcher durch das gegenwärtige Interesse für nihilistische und vulgärmaterialistische Theorien geweckt wurde.

Der herrschende Ideenkampf der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts erklärte den pauschalen Konflikt zwischen zwei Ideenwelten: der liberalen und der demokratischen. Im Roman „Väter und Söhne“ wird die Welt der adeligen liberalen Slawophilen durch „Väter“ dargestellt. Die nichtadeligen westlich-orientierten Materialisten und Nihilisten haben ihre Verwirklichung in der Person von Jewgeni Bazarow gefunden, der zielstrebig die Ideen der neuen Generation vertrat.

Turgenevs Korrekturen im Roman

Abgeschlossen im Jahr 1861 konnte der Roman „Väter und Söhne“ lange Zeit nicht herausgegeben werden, was vorher noch mit keinem von Turgenevs Werken geschah. Die ganze zweite Hälfte des Jahres 1861 war der Überarbeitung des Romans gewidmet worden. Die Pariser Handschrift des Romans war mehrmals von dem Autor korrigiert worden. Das hatte mehrere Gründe, darunter eine komplizierte politische Situation in Russland zur damaligen Zeit, die unmöglich eine literarische Darstellung eines russischen Revolutionärs stellte, und auch die Unzufriedenheit von Turgenev selbst mit dem Charakter von Bazarow allgemein. Während seines Aufenthaltes in Spasskoje ließ Turgenev mehrere große Abschnitte aus dem Text aus, was eine steigende Feindschaft zwischen den Liberalen und Demokraten-Revolutionären in den 60er Jahren in Russland auswies. Mit seiner Korrektur reduzierte Turgenev manche scharfen Repliken von Bazarow und einige von seinen provokativen Aussagen. Bazarow wurde von dem Autor sogar ziemlich „verschlechtert“, währenddessen sein Ideengegner - der Liberale Pawel Petrovič Kirsanow - in einem etwas besseren Licht dargestellt wurde. Die herrschenden Zensurvorschriften spielten für die Herausgabe des Romans auch eine große Rolle, indem sie alle Angriffe der Demokraten gegen den Adel in der Literatur für ausgeschlossen hielten. Erst später, als der Roman schon veröffentlicht wurde, erkannte Turgenev, dass in Folge seiner Korrekturen und „Verbesserungen“, die durch die allgemein schwere Situation in Russland bedingt wurden, manche Stellen im Roman nicht der Wirklichkeit entsprachen. Das bedingte eine Überarbeitung des Romans für eine besondere Ausgabe, was meistens zugunsten vom Charakter Bazarow unternommen wurde, um seine politische Ideenrichtung besser darzustellen und auch verstehen zu können.

Das Bild der neuen Generation

Die neue nichtadelige Generation der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts war die Generation der europäisierten Aufklärer. In erster Linie spürten sie eine starke Abscheu für Leibeigenschaft in Russland und die Folgen auf dem ökonomischen und sozialen Niveau. Sie kämpften für die allgemeine Aufklärung der Volksmassen, für die Selbstverwaltung und Freiheit der europäischen Lebensformen und auch für eine allgemeine Europäisierung von Russland. Die Interessen der untersten Schicht der Bevölkerung – der einfachen Bauern, die nur teilweise befreit wurden - standen bei ihnen an der ersten Stelle. Sie glaubten, dass das Abschaffen von Leibeigenschaft zum generellen Wohlstand der Bevölkerung führt. Solche Ansichten der Aufklärer nannte man „das Erbe der 60er Jahre“, welche nicht nur von Demokraten, sondern auch von manchen Liberalen unterstützt wurden. Die Ideenauseinandersetzung zwischen den Liberalen und den Demokraten lag grundsätzlich in der Art und Weise ihres Kampfes für Aufklärung: die Liberalen verabscheuten zwar auch die Leibeigenschaft, hielten sich aber an die reformatorischen Methoden für die Änderung der Gesellschaftsordnung. Die philosophischen Ansichten der neuen Generation, wie es oben schon erwähnt wurde, waren stark dem Materialismus von Büchner unterworfen. Sie teilten sein kausal-mechanistisches, utilitaristisches und rein funktionales Weltverständnis und verließen sich nur auf Fakten, was ihre Negierung aller geltenden Autoritäten stark belegte.

Die grundsätzliche Weltanschauung der neuen west-orientierten Generation, die sich in Russland am Ende der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatte und meistens aus jungen Naturwissenschaftlern bestand, verwirklichte Turgenev in Bazarows Charakter. Er erbte sämtliche radikale Züge, die ihnen eigen waren: die absolute Feindseligkeit gegenüber den Aristokraten, Verneinung von allen Prinzipien als auch eine scharfe und direkte Kritik an der gesellschaftlichen Ordnung und ein starkes Verabscheuen der Liberalen, die von dem Gedanken ihrer Feudallehre erfüllt waren. Jewgeni Bazarow war ein überzeugter Materialist und Nihilist - wie er sich selbst nannte - setzte seine nützliche Beschäftigung mit Naturwissenschaften an die erste Stelle, hatte eine opportunistisch-reale und praktische Lebenssicht, war ein starker Gegner der Heuchelei und Scholastik und besaß eine starke Willenskraft sowie einen starken Einfluss auf seine Umgebung. Büchners „Kraft und Stoff“ wurde zu seinem Taschenbuch und seine Weltanschauung konnte man als ein Konzentrat der vulgärmaterialistischen Lehre bezeichnen. Er teilte sowohl Büchners Ansichten in Bezug auf die Welthierarchie als auch seine Negierung der Autoritäten und Prinzipien. Hierbei gilt eine entscheidende Einschränkung: diese Ansichten teilte Bazarow nur in der ersten Hälfte des Romans (bis zum 16. Kapitel), in der zweiten Hälfte entwickelten sich in seinem Charakter ein ausgeprägter Pessimismus und Skeptizismus, was zur Infragestellung und Revision seiner eigenen Ansichten führte. Auf die detailierte Darstellung dieser Evolution in Bazarows Charakter werde ich später noch eingehen.

Bazarow als „Held unserer Zeit“

Zum ersten Mal erschien in der Literatur das Bild eines russischen Materialisten mit dem Charakter von Bazarow. Ein großer Verdienst von Turgenev als ein Schriftsteller-Realist ist die Tatsache, dass dieser Charakter echt und real schien und damit eine epochale Bedeutung trug. Bazarow war keine Illustration zu einer bestimmten politischen These, sondern eine vollständige Gestalt, die auf einem hohen Niveau dargestellt wurde. Der junge Naturwissenschaftler Bazarow rückte an die Stelle von adeligen Intelligenten wie Rudin und Lavretski und brachte damit die russische Literatur auf eine weitere Stufe. Beim Schaffen von Bazarows Charakter verfolgte Turgenev keine politisch-revolutionären Ziele, er interessierte sich mehr für die erkenntnistheoretische und philosophische Seite der Charakterdarlegung.

Auf den Seiten der Zeitschriften „Русская литература“, „Литература и жизнь“, „Нева“ und „Новый мир“ fanden mehrseitige Debatten über Turgenevs eigene Ideenstellung in dieser Zeit und über die Darstellung des neuen Charakters - Bazarow - statt. Die Handlung im Roman geschah im Jahr 1859, was der damaligen Gegenwart entsprach. Nach Turgenevs eigenen Worten war Bazarow ein „Held unserer Zeit“ gewesen. In Folge von sämtlichen Diskussen um den Roman entstand die Meinung, dass Turgenev selbst mit seinen mäßigen liberalen Ideen, die sich historisch herausgebildet haben, einen gewissen Ideenunterschied zu Bazarows Theorien besaß. Der Autor stand auf der Seite der folgsamen reformatorischen Gesellschaftserneuerungen und war ein Gegner von allen revolutionären Ausbrüchen. Turgenev sah in den revolutionären Materialisten eine große Kraft der neuen Generation, glaubte aber nicht an die Perspektivität ihrer Ideen und fand ihren zukünftigen Weg aussichtslos. Bis zum Lebensende befand sich Turgenev in einer Auseinandersetzung mit den Materialisten. Die Theorien von Černyševski bezeichnete er als „schädlich, verlogen und widerlich“. Mehrere Forscher von Turgenevs Roman waren der Meinung, dass dies der Grund war, Bazarow als tragische Gestalt darzustellen. Selbst Turgenev schreibt in einem Brief vom 14. April 1862 an A. A. Slučevski: „Мнемечталасьфигурасумрачная, дикая, большая, дополовинывыросшаяизпочвы, сильная, злобная, честная – ивсё-такиобречённаянагибель“[6]. Damit entzog Turgenev Bazarow den gesamten gesellschaftlichen Optimismus, das Streben in die Zukunft, den Glauben an die schönen Ideale und ersetzte es mit dem kalten Opportunismus und einer tiefen Skepsis. In Turgenevs Augen trat Bazarow als Träger der neuen Mentalität seiner nichtadeligen Generation gegenüber den alten Prinzipien der „Väter“ auf. Seine Lebenseinstellung hat ihn im Laufe der Zeit wenig vorangebracht, sie stellte sich als einseitig und unvollständig gegenüber der ewigen Gesetze der Natur und der Rätsel der Liebe und des Todes heraus.